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Leseprobe Yamen Manai

Vorwort

Es war im Oktober 2007. Inspiriert von einer Nacht, wie sie mir nur meine kleine südliche Vorstadt von Tunis schenken kann, beschloss ich, auf meine Weise dem Hohn zu begegnen, mit dem mich Big Brother mit seinem Rattenfängergrinsen von allen Plakaten herab beleidigte. Ich begann, Die Serenaden des Ibrahim Santos zu schreiben. Drei Jahre später, im Dezember 2010, beendete ich das letzte Kapitel und plante mit der Verlegerin den Erscheinungstermin im ersten Viertel des Jahres 2011.

Aber das Unwahrscheinliche trat am 14. Januar ein und warf nicht nur alle Pläne um, sondern machte einen nicht kleinen Teil des Planeten mit offenem Mund staunen. Der Mann, dem der Zahn der Zeit nichts anhaben zu können schien, machte sich mit seiner Angebeteten aus dem Staub und fand Zuflucht bei arabischen Paten.

Ich weiß nicht, wie das Buch aufgenommen worden wäre, befände sich das Land immer noch in Händen von Bonnie und Clyde. Meine Befürchtungen sind durch das Opfer eines Manneszu Asche zerfallen, die der Aufstand der Menschen anschließend in alle Richtungen trug.

Was für eine großartige Zeit! Hoffentlich bewahren die Berge ihre Würde und bringen nicht wieder ein manipulatorisches Mäuschen zur Welt.

                                                             Mai 2011

Roman

Die Serenaden des Ibrahim Santos

Ibrahim Santos schnarchte wie ein Glöckner unter seinem Sombrero, als José Vasquez über ihn kam. Er schlief vor dem Eingang zu seinem Haus, ausgestreckt in einer Hängematte, die an zwei Pfeilern seiner Terrasse aufgespannt war. Von Weitem sah es so aus, als könnten sie seinem Gewicht nicht standhalten und würden im nächsten Augenblick über seinem Kopf zusammenbrechen und das ganze Haus mit sich reißen.

Gestern war er spät von der Serenade zurückgekehrt, die er mit seinem Orchester gespielt hatte, und er durchlebte sie noch einmal, als er die schiefen Gassen entlang nach Hause ging. Die Violine unter den Arm geklemmt, den Kopf in Richtung der Sterne geneigt, schritt er trunken und beschwingt voran, bis sich ein unvorstellbares Gefühl von Schwerelosigkeit seiner bemächtigte.

Alle Einwohner, große und kleine, hatten sich auf dem Dorfplatz versammelt und erwarteten voller Ungeduld den Auftritt der Musiker in ihren leuchtenden Anzügen. Einer nach dem anderen war nun unter Jubelrufen erschienen, und sie erklommen die Stufen zum Podium. Ihr breites Lächeln war genauso strahlend wie die goldenen Knopfreihen, die ihre Jacken zierten. An die Kragen ihrer blendend weißen Hemden waren scharlachrote Binder in Schleifenform geknotet. Ihre herrschaftlichen Sombreros spendeten Schatten unter dem Glanz der nächtlichen Sterne, die friedlich von ihrem himmlischen Platz aus ebenfalls an dieser unfassbaren Darbietung göttlich begabter Menschen teilhatten.

Unter Beifall beendeten die Musiker das Stimmen ihrer Instrumente, ehe sie sich zum Auftakt verbeugten. Mit seinem rechten Daumen gab Ibrahim das Zeichen, das ein ganzes Volk erwartete.

Die Musik und ihre geheimnisvolle Wirkung betörten die Seelen, und der große Platz verwandelte sich umgehend in eine riesige Tanzfläche. Die Köpfe wiegten sich sachte wie reife Früchte im lauen Wind. Die Füße glitten über den Boden zum Rhythmus der Trommeln, die Hände reichten sich Bündel von Minze, Flaschen mit Rum und Zuckerrohr. Der Alkohol veredelte das Blut in den Adern und gab dem Leben seine ganze Intensität zurück. Die Großmütter und Großväter entdeckten ihre zweite Jugend und lieferten sich mit ihrer großmeisterlichen Tanztechnik einen Wettbewerb mit den ungestümen Jungen. Die Schweißperlen tropften die Stirn hinunter und vermischten sich auf den Wangen, dort, wo die Liebesgeschichten ihren Anfang nehmen.

 

Yamen Manai: Die Serenaden des Ibrahim Santos

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